Georg Prager (1904-1960), der eine kleine Buchdruckerei in Berlin betrieb, kam Anfang Dezember 1938 nach drei Wochen Haft aus Sachsenhausen frei. Als Fluchtziele kamen aus Visumsgründen nur Südamerika oder Shanghai in Betracht. Für Letzteres konnte Pragers Frau tatsächlich Schiffskarten ergattern. Nach hastigem Verkauf der Druckerei brach das Paar im Januar 1939 mit Säugling Lothar nach Südostasien auf.
Im Bezirk Hongkou fand die Familie eine kleine Wohnung, doch als Drucker konnte Prager in der chinesischen Stadt nicht arbeiten. Mühsam schlug sich die Familie mit Gelegenheitsjobs und dem Verkauf mitgebrachter Haushaltsgegenstände durch.
Nach Kriegsende konnte eine nach Melbourne emigrierte Cousine Einreisepapiere für Australien beschaffen. 1946 − nach acht Jahren Shanghai − siedelten die Pragers nach Melbourne über. Als Mitarbeiter einer jüdischen Druckerei brachte es Georg Prager wieder zu bescheidenem Wohlstand. Anfang 1960 starb er im Alter von knapp 56 Jahren.
Die Pragers waren tief in Deutschland verwurzelt. In der Kleinfamilie wurde stets Deutsch gesprochen, noch heute hat der Sohn Lothar − der, von der Zeit als Baby abgesehen, nie in Deutschland lebte − einen Berliner Zungenschlag. Dennoch: Die Vertreibung aus der Heimat hat das Ehepaar Prager tief gekränkt. Vor allem Margarete Prager (1906-1976) wollte nie wieder deutschen Boden betreten.
Georg Prager auf seinem Fahrrad in Berlin
frühe 1930er-Jahre, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Georg Prager, der am 21. März 1904 in Berlin geboren worden war, betrieb eine kleine Buchdruckerei in Prenzlauer Berg. In seinem Bezirk war Prager meist mit dem Fahrrad unterwegs und überall bekannt.
Visitenkarte und geschäftliches Briefpapier der Buchdruckerei Georg Prager
um 1935, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Pragers Buchdruckerei befand sich in den Kellerräumen des Hauses Straßburger Straße 34, wo er auch eine Wohnung hatte.
Häftlingsbrief von Georg Prager an seine Frau mit Umschlag
Poststempel 26.11.1938, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Georg Prager wurde am Abend des 9. November verhaftet und am nächsten oder übernächsten Tag nach Sachsenhausen überstellt. In dem Brief auf KZ-Vordruck riet er seiner Frau, den Betrieb und die Familienwohnung sofort aufzulösen.
Transkription des Häftlingsbriefs von Georg Prager an seine Frau.
Passbild von Georg Prager
Herbst 1938, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Das Passbild hatte Prager kurz vor seiner Verschleppung nach Sachsenhausen aufnehmen lassen, wohl weil er damals bereits an Auswanderung dachte. In dem Brief aus dem Lager bat er seine Frau, die Abzüge abzuholen.
"Folgende Häftlinge sind am 2.12.38 zu entlassen"
Anweisung der Politischen Abteilung an die KZ-Lagerführung, 1938,
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Während seiner dreiwöchigen KZ-Haft war Prager im Block 41 untergebracht, der zu den "jüdischen Baracken" zählte. Am 2. Dezember 1938 wurden er und 272 andere Männer, die nach dem Pogrom verhaftet worden waren, entlassen.
"Im Zuge der Arisierung habe ich mich entschlossen, meine Druckerei aufzulösen ..."
Kunden-Informationskarte, Dezember 1938, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Noch im Monat seiner KZ-Entlassung löste Prager seine Druckerei auf. Personal und Material übernahm eine nahegelegene nicht-jüdische Druckerei.
An Deck der Conte Biancamano auf dem Weg von Genua nach Shanghai
Drei Fotos der Eheleute Prager mit kleinem Sohn, Januar/Februar 1939, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Am 26. Januar 1939 stach die Familie Prager in See, nach vierwöchiger Schiffsreise erreichte sie Shanghai. Der italienische Passagierdampfer brachte allein auf dieser Fahrt 841 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich nach China.
Feier zu Lothars erstem Geburtstag in Shanghai
29.5.1939, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Wenige Monate nach ihrem Eintreffen hatten sich die Pragers im sozial schwachen Stadtteil Hongkou eingerichtet. Mit Nachbarn und Freunden feierten sie Ende Mai den ersten Geburtstag ihres kleinen Sohns.
Familie Prager in Shanghai
Frühsommer 1939, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Mitglied im Verband ehemaliger KZ-Häftlinge
Anmeldeschein, ausgefüllt von Georg Prager, 1939, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
In Shanghai meldete sich Prager bei einem Verband ehemaliger KZ-Häftlinge an. Relativ viele der dortigen Exilanten waren im KZ inhaftiert gewesen und nahmen deshalb die schwierigen sozialen und klimatischen Bedingungen in der chinesischen Stadt in Kauf.
Familie Prager, nach einem Jahr Shanghai
Winter 1939/40, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Porträt Georg Prager
Winter 1939/40, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
"Herrn Georg Prager aus Berlin, Shanghai, postlagernd ..."
Postkarte von S. Prager, Poststempel 11.3.1940, Lothar Prager,
Melbourne (Australien)
Aus dem Shanghaier Exil standen die Pragers in regem Briefkontakt mit den in Berlin zurückgebliebenen Verwandten und Freunden. Pragers Cousine Herta und ihr Mann, die auf der Vorderseite der Karte grüßten, wurden 1943 in Auschwitz ermordet.
Transkription "Herrn Georg Prager aus Berlin, Shanghai, postlagernd ..."
"Via Sibiria"
Postkarte von Rosa Prager, Poststempel 9.11.1940, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Seit dem Januar 1939 mussten jüdische Deutsche zusätzlich die Vornamen Sara bzw. Israel annehmen, um sie als Juden zu kennzeichnen. Auch Pragers Mutter Rosa hieß gemäß der antisemitischen Bestimmung nun Rosa Sara.
Transkription "Via Sibiria", Postkarte von Rosa Prager
Rot-Kreuz-Brief von Georg Prager an seine Tante Elsa
3.8.1942, Zustellung am 26.11.1942, Vorder- und Rückseite mit Nachricht und Antwort aus Berlin, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Nur über Rot-Kreuz-Briefe konnten die Pragers ab 1941 mit ihren Angehörigen in Kontakt bleiben. Das Formblatt erlaubte nur 25 Worte und kam erst Monate später bei Elsa Neuke an. Auf der Rückseite findet sich deren Antwort. Sie kam später in Auschwitz um.
Transkription Rot-Kreuz-Brief von Georg Prager an seine Tante Elsa
"Elsa gab Nachricht. Sind betrübt."
Durchschlag eines Rot-Kreuz-Briefs von Prager an seine Eltern, der ohne Antwort blieb, 3.8.1942, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Von einer Berliner Tante hatte Prager erfahren, dass seine Eltern ins Ghetto Litzmannstadt deportiert worden waren. Sein Brief erreichte sie jedoch nicht mehr. Sie waren im Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof ermordet worden.
Transkription "Elsa gab Nachricht. Sind betrübt."
Georg Prager an seinem Arbeitsplatz in Melbourne
1950er-Jahre, Lothar Prager, Melbourne (Australien)
Nach Kriegende verließen die Pragers Shanghai. Mit Unterstützung einer jüdischen Hilfsorganisation ging es 1946 über Hongkong ins australische Melbourne. Dort angekommen, begann Georg Prager sofort mit der Arbeit in einer jüdischen Druckerei.
Sohn Lothar mit Familie in der Gedenkstätte Sachsenhausen
30.6.2017, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Georg Prager starb am 3. Januar 1960 im Alter von knapp 55 Jahren. Sein Sohn Lothar, der wie sein Vater Buchdrucker wurde, interessierte sich stets für seine deutschen Wurzeln. Als Rentner hatte er endlich Zeit für Besuche in seiner Geburtsstadt Berlin.
"Letter from Sachsenhausen"
Artikel aus "The Australian Jewish News" vom 23.2.2018
Im Juni 2017 besuchte Lothar Prager mit Frau und Töchtern die Gedenk- stätte Sachsenhausen. Dabei übergab er dem Archiv den Brief, den seit Vater 1938 aus dem Lager geschrieben hatte. Die Geschichte ging sogar durch die australische Presse.
Das Ehepaar Prager am Brighton Beach in Melbourne
4.3.2018, Astrid Ley, Berlin
Georg Prager (1904-1960), der eine kleine Buchdruckerei in Berlin betrieb, kam Anfang Dezember 1938 nach drei Wochen Haft aus Sachsenhausen frei. Als Fluchtziele kamen aus Visumsgründen nur Südamerika oder Shanghai in Betracht. Für Letzteres konnte Pragers Frau tatsächlich Schiffskarten ergattern. Nach hastigem Verkauf der Druckerei brach das Paar im Januar 1939 mit Säugling Lothar nach Südostasien auf.
Im Bezirk Hongkou fand die Familie eine kleine Wohnung, doch als Drucker konnte Prager in der chinesischen Stadt nicht arbeiten. Mühsam schlug sich die Familie mit Gelegenheitsjobs und dem Verkauf mitgebrachter Haushaltsgegenstände durch.
Nach Kriegsende konnte eine nach Melbourne emigrierte Cousine Einreisepapiere für Australien beschaffen. 1946 − nach acht Jahren Shanghai − siedelten die Pragers nach Melbourne über. Als Mitarbeiter einer jüdischen Druckerei brachte es Georg Prager wieder zu bescheidenem Wohlstand. Anfang 1960 starb er im Alter von knapp 56 Jahren.
Die Pragers waren tief in Deutschland verwurzelt. In der Kleinfamilie wurde stets Deutsch gesprochen, noch heute hat der Sohn Lothar − der, von der Zeit als Baby abgesehen, nie in Deutschland lebte − einen Berliner Zungenschlag. Dennoch: Die Vertreibung aus der Heimat hat das Ehepaar Prager tief gekränkt. Vor allem Margarete Prager (1906-1976) wollte nie wieder deutschen Boden betreten.