Arthur Philipp (1890-1970) betrieb in Schneidemühl (Piła), das heute zu Polen gehört, ein großes Konfektionsgeschäft. Die Stadt war Sitz einer bedeutenden jüdischen Gemeinde und seit 1920 Hauptstadt der preußischen Provinz Posen-Westpreußen. Seit 1900 herrschte dort zunehmend Antisemitismus, so dass immer mehr jüdische Familien – vor allem seit 1933 – Schneidemühl verließen.
Auch Arthur Philipp entschied sich zur Emigration, und zwar noch bevor man ihn im November 1938 nach Sachsenhausen verschleppte. Infrage kamen die USA und Kanada, denn ein in New York lebender Cousin war bereit, die nötigen Finanzbürgschaften zu stellen. Anfang 1938 bewarb sich Philipp um Einreisepapiere für seine Familie.
Kanada schottete sich damals strikt gegen Flüchtlinge ab – vor allem gegen jüdische. Ausnahmen wurden nur in Einzelfällen – meist bei vermögenden Personen – gemacht. Von Philipp verlangte die kanadische Regierung den Vorweis von $ 20.000, zu deponieren bei einer kanadischen Bank.
In Montreal machte sich Philipp 1939 mit einem Textilbetrieb selbständig, der – wie es in der Familienerinnerung heißt – zwar weniger mondän war als das alte Schneidemühler Konfektions-Geschäft, aber sehr erfolgreich. Beide Söhne konnten studieren. Innerfamiliär sprach man zwar weiterhin deutsch, dennoch akklimatisierte sich die Familie schnell in ihrer neuen Heimat Kanada.
Arthur Philipp (mittlere Reihe, rechts) mit seinen Geschwistern
ca. 1897, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Arthur Philipp kam am 25. April 1890 in Filehne (Posen) als eines von sechs Kindern eines Kolonial- und Spezereiwaren-Händlers zur Welt. Das Bild zeigt ihn mit den Geschwistern Fraenzel (hinten), Leo (mitte links, gestorben 1909), Siegfried (Mitte) sowie Hilde und Clara (vorne).
Militärdienst im Ersten Weltkrieg
Januar 1918, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Philipp wuchs in Schneidemühl (Posen-Westpreußen) auf. Nach der Schule lernte er das Schneiderhandwerk. Im Juli 1915 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und, da er frontuntauglich war, in der Truppenverwaltung und als Krankenwärter eingesetzt.
Synagoge von Schneidemühl in Pommern
Postkarte, um 1900, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Später betrieb Philipp in Schneidemühl ein angesehenes Konfektionsgeschäft. In der Stadt existierte eine große jüdische Gemeinde. Beim November-Pogrom 1938 wurde die Synagoge in Brand gesetzt, und mehr als 60 jüdische Geschäfte und zahlreiche Wohnungen wurden demoliert und geplündert.
Charlotte und Arthur Philipp auf Hochzeitsreise
1928, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Arthur Philipp heiratete im März 1928 Charlotte Maass (1899-1961). Die Hochzeitsreise des gutsituierten Paars führte nach Italien. Das Bild zeigt die beiden vor dem Markusdom in Venedig.
Ehepaar Philipp mit dem zweiten Sohn Rudolph
1933, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Ende 1928 und Anfang 1933 kamen die beiden Söhne Horst und Rudolph zur Welt.
Die Familie Philipp
Mai 1938, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Auf dem Bild präsentiert Arthur Philipp (links oben) im erweiterten Familienkreis stolz ein Auto. Vorne steht Sohn Rudolph, ganz rechts Charlotte Philipp.
Häftlingsbrief von Arthur Philipp
mit Poststempel "Sommerfrische am Lehnitzsee, großes Freibad"
mit Umschlag, Poststempel 9.12.1938, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Am 9. November 1938 verwüsteten Nazi-Horden die Wohnung der Familie Philipp. Arthur kam nach Sachsenhausen und musste im Klinkerwerk am Lehnitzsee Sandsäcke schleppen. Es wirkt zynisch, dass die Oranienburger Post auf seinem Häftlingsbrief für "Sommerfrische am Lehnitzsee" warb.
Transkription Häftlingsbrief von Arthur Philipp
"Folgende Häftlinge sind am 23.12.38 zu entlassen"
Anweisung der Politischen Abteilung an die Lagerführung des KZ Sachsenhausen, 23.12.1938, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Philipp war einer von über 40 jüdischen Männern aus Schneidemühl, die nach dem Pogrom in das KZ Sachsenhausen verschleppt worden waren. Erst nach über sechs Wochen wurde er am 23. Dezember 1938 wieder entlassen. Seine Familie hatte inzwischen eine Einreiseerlaubnis für Kanada erhalten.
Staatsrats-Beschluss 2939 über die Erteilung der Einreiseerlaubnis nach Kanada
23.11.1938, Seiten 1, 2 und 6, Abbildungen: www.orderincouncellists.com
In Kanada galt ein striktes Einwanderungsverbot. Über Ausnahmen entschied ein Gremium unter Premierminister William Lyon Mackenzie King. Bei der Sitzung am 23. November 1938 wurde 28 Familien die Immigration erlaubt, darunter den Philipps. Die Beschluss-Unterlage zeigt, welche Bedingungen dafür erfüllt worden waren. Das verlangte Kapital von $ 20.000 würde bei heutiger Kaufkraft rund $ 350.000 entsprechen.
Transkription Staatsrats-Beschluss 2939 über die Erteilung der Einreiseerlaubnis nach Kanada
Ankunft in Halifax (Kanada) auf der Duchess of Bedford am 11. März 1939
Immigrationsausweis für Arthur Philipp, März 1939, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Innerhalb von fünf Monaten nach Erhalt der Erlaubnis musste die Familie Philipp nach Kanada einreisen. Die dafür nötigen 20.000 Dollar hatte ein in den USA lebender Verwandter zur Verfügung gestellt und dessen kanadischer Cousin bei der Bank of Canada eingezahlt.
Rudy, Tante Hildegard und Horace Philipp (v.l.n.r.) in Kanada
Neujahr 1941, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Das Bild zeigt die beiden Söhne Rudolph und Horst, die sich nun Rudy und Horace nannten, mit ihrer Tante Hildegard im kanadischen Winter. Die unverheiratete Schwester von Arthur Philipp war mit der vierköpfigen Kleinfamilie nach Kanada gekommen.
Horace Philipp am Tag seiner Bar Mitzwa
1941/42, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Nur 0,01 % der kanadischen Bevölkerung waren Anfang der 1940er-Jahre jüdisch. Die meisten kanadischen Juden lebten in den östlichen Provinzen Québec und Ontario. Die größte jüdische Gemeinde war in Montreal. Ihr gehörte auch die Familie Philipp an.
Arthur Philipp (vorne links) mit der Belegschaft seiner neuen Firma PHIMACO Underwear
ca. 1945, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
In Montreal baute Arthur Philipp einen Textilbetrieb auf, der auf Unterwäsche spezialisiert war. Das Bild zeigt ihn als stolzen Chef mit Söhnen, Schwestern Clara und Hildegard und der gesamten Belegschaft. Clara war zunächst nach Brasilien emigriert, wurde aber von Arthur nach Kanada geholt.
Wiedersehen der Schwestern Philipp in Kanada
v.l.n.r.: Clara, Hildegard, Rudy mit Mutter Charlotte und Fraenzel Philipp, August 1945, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Alle drei Schwestern von Arthur Philipp konnten nach Amerika emigrieren: Clara nach Brasilien, Hildegard nach Kanada, Fraenzel mit Ehemann Hugo Anschel in die USA. Arthurs Bruder Siegfried fiel dem Holocaust zum Opfer: Er wurde 1942 ins Ghetto Krasniczyn deportiert und kam dort um.
Rudy Philipp beim B'nai Brith Summer Camp in Montreal
1947, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Den Sommer 1947 verbrachte Rudy im Ferienlager der jüdischen B'nai Brith-Organisation. Durch Camping-Erfahrungen sollte die soziale und intellektuelle Entwicklung der Jugendlichen gefördert werden. Im Camp verwandelte sich Rudy vom Immigranten-Sohn zum "Canadian boy".
Horace und Rudy Philipp beim Skilanglauf
ca. 1948, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Auch Horace hatte solche Ferienlager durchlaufen. Schon in seinem ersten Sommer in Kanada, 1939, hatten ihn die Eltern in ein "summer camp" geschickt. Als er zurückkam, sprach er, der Familienerinnerung zufolge, fließend Englisch und spielte alle landestypischen Ballsportarten.
Arthur Philipp im Garten hinter seinem Haus in Montreal
1950/51, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Rudy Philipp mit Pferd und Hunden
März 1955, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Hochzeit von Rudy und Eva Philipp
1958, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
1958 heiratete Arthurs jüngerer Sohn Rudy. Seine Frau Eva hatte den Holocaust in Budapest überlebt und war erst 1951 mit ihren Eltern nach Kanada gekommen.
Arthur Philipp im Büro der PHIMACO Underwear
Mai 1959, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Der Firmenname PHIMACO stand für Philipp Manufacturing Company.
Charlotte und Arthur Philipp
ca. 1958, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Obwohl das Ehepaar Philipp zu Hause und im Geschäft weiterhin nur deutsch sprach, hatten sie sich doch gut in Kanada eingelebt. Das anfänglich kleine Familienunternehmen war zu einer gutgehenden Näherei herangewachsen.
Arthur Philipp an seinem 70. Geburtstag
25.4.1960, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Im April 1960 beging Arthur Philipp in Montreal seinen 70. Geburtstag. Er starb am 19. Juli 1970 in Montreal im Alter von 80 Jahren.
Arthurs Schwiegertochter Eva Philipp mit Kindern und Enkeln
2016, Dr. Diane Philipp und Ron Philipp, Toronto (Kanada)
Das Bild zeigt Eva Philipp (4. von rechts) mit ihrer Tochter Diane (links außen mit Ehemann Robert) und ihrem Sohn Ron (rechts außen mit Frau Mirah) sowie den Enkeln Noah, Aviva, Aaron, Amélie und Clara (v.l.n.r.). Evas Mann Rudy war 2008, ihr Schwager Horace 2003 gestorben.
Arthur Philipp (1890-1970) betrieb in Schneidemühl (Piła), das heute zu Polen gehört, ein großes Konfektionsgeschäft. Die Stadt war Sitz einer bedeutenden jüdischen Gemeinde und seit 1920 Hauptstadt der preußischen Provinz Posen-Westpreußen. Seit 1900 herrschte dort zunehmend Antisemitismus, so dass immer mehr jüdische Familien – vor allem seit 1933 – Schneidemühl verließen.
Auch Arthur Philipp entschied sich zur Emigration, und zwar noch bevor man ihn im November 1938 nach Sachsenhausen verschleppte. Infrage kamen die USA und Kanada, denn ein in New York lebender Cousin war bereit, die nötigen Finanzbürgschaften zu stellen. Anfang 1938 bewarb sich Philipp um Einreisepapiere für seine Familie.
Kanada schottete sich damals strikt gegen Flüchtlinge ab – vor allem gegen jüdische. Ausnahmen wurden nur in Einzelfällen – meist bei vermögenden Personen – gemacht. Von Philipp verlangte die kanadische Regierung den Vorweis von $ 20.000, zu deponieren bei einer kanadischen Bank.
In Montreal machte sich Philipp 1939 mit einem Textilbetrieb selbständig, der – wie es in der Familienerinnerung heißt – zwar weniger mondän war als das alte Schneidemühler Konfektions-Geschäft, aber sehr erfolgreich. Beide Söhne konnten studieren. Innerfamiliär sprach man zwar weiterhin deutsch, dennoch akklimatisierte sich die Familie schnell in ihrer neuen Heimat Kanada.
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Arthur Philipp (1890-1970) betrieb in Schneidemühl (Piła), das heute zu Polen gehört, ein großes Konfektionsgeschäft. Die Stadt war Sitz einer bedeutenden jüdischen Gemeinde und seit 1920 Hauptstadt der preußischen Provinz Posen-Westpreußen. Seit 1900 herrschte dort zunehmend Antisemitismus, so dass immer mehr jüdische Familien – vor allem seit 1933 – Schneidemühl verließen.
Auch Arthur Philipp entschied sich zur Emigration, und zwar noch bevor man ihn im November 1938 nach Sachsenhausen verschleppte. Infrage kamen die USA und Kanada, denn ein in New York lebender Cousin war bereit, die nötigen Finanzbürgschaften zu stellen. Anfang 1938 bewarb sich Philipp um Einreisepapiere für seine Familie.
Kanada schottete sich damals strikt gegen Flüchtlinge ab – vor allem gegen jüdische. Ausnahmen wurden nur in Einzelfällen – meist bei vermögenden Personen – gemacht. Von Philipp verlangte die kanadische Regierung den Vorweis von $ 20.000, zu deponieren bei einer kanadischen Bank.
In Montreal machte sich Philipp 1939 mit einem Textilbetrieb selbständig, der – wie es in der Familienerinnerung heißt – zwar weniger mondän war als das alte Schneidemühler Konfektions-Geschäft, aber sehr erfolgreich. Beide Söhne konnten studieren. Innerfamiliär sprach man zwar weiterhin deutsch, dennoch akklimatisierte sich die Familie schnell in ihrer neuen Heimat Kanada.