Um seinem konservativ-jüdischen Frankfurter Elternhaus zu entkommen, ging Willy Levisohn (1890-1972) als junger Kaufmann nach Antwerpen. 1914 bis 1919 nahm er auf deutscher Seite am Ersten Weltkrieg teil und geriet in Gefangenschaft. Später sammelte er weitere Berufspraxis, bevor er sich in Hamburg niederließ. Dort heiratete er Röschen Nathan.
Von der "Kristallnacht" am 9. November 1938 bekam Willy Levisohn zunächst nichts mit. Von den Ausschreitungen hörte er – den Erinnerungen seiner Familie zufolge – erst am nächsten Tag, als er, wie üblich, im Büro eintraf. Es folgten Festnahme und Haft im KZ Sachsenhausen.
Wie viele Kriegsteilnehmer wurde Levisohn relativ schnell aus dem KZ entlassen. Neun Tage später reiste das Ehepaar mit einem Touristen-Visum nach Uruguay aus. Hier lebten sie sich trotz anfänglicher Sprachschwierigkeiten bald ein. Levisohn fand Arbeit in seinem Beruf, und 1940 kam mit Sohn Mario das langersehnte Kind zur Welt.
Die deutsche Sprache und Kultur spielten im Exilhaushalt der Levisohns stets eine wichtige Rolle. Mit Deutschland aber hatte Levisohn gebrochen – nicht einmal "Wiedergutmachungs-Zahlungen" wollte er annehmen. Dennoch musste er aufgrund schwerer Erkrankung schließlich mit seiner Frau nach Deutschland zurückkehren. Im Jahr 1972 starb er in seiner Geburtsstadt Frankfurt/Main. Röschen Levisohn zog daraufhin zu ihrem Sohn Mario, der seit 1962 in Israel lebt.
Eltern und Schwestern von Willy Levisohn
um 1910, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Willy Levisohn kam am 6. September 1890 als Sohn einer konservativ-jüdischen Familie in Frankfurt/Main zur Welt. Das Bild zeigt seinen Vater Meier Levisohn (links), die jüngere Schwester Else, Mutter Johanna und die ältere Schwester mit Ehemann (v.r.n.l.).
Willy Levisohn (hinten, zweiter von rechts) als junger Kaufmann mit Kollegen
um 1910, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Schon als 14-Jähriger verließ Willy Levisohn 1904 sein frommes Elternhaus, um als assimilierter Jude berufliche Karriere zu machen. Nach der Realschule durchlief er eine kaufmännische Ausbildung in Mannheim. 1910 ging er nach Antwerpen und fing in einer Getreide-Großhandlung an.
Der Antwerpener Bankier Paul Nathan mit Ehefrau
1904, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Die Stelle in Antwerpen hatte ihm der Bankier Paul Nathan vermittelt, den Levisohn aus Mannheim kannte. Nathan war ein Onkel von Levisohns späterer Frau Röschen.
Willy Levisohn
ca. 1914, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Im belgischen Antwerpen erhielt Levisohn im Sommer 1914 den Gestellungsbefehl. Er kehrte sofort nach Deutschland zurück, nahm als Frontsoldat am Ersten Weltkrieg teil und geriet in russische Kriegsgefangenschaft.
Heirat mit Röschen Nathan in Hamburg
Eintrag im Aufgebots-Verzeichnis des Standesamts, 24.12.1930, Staatsarchiv Hamburg
1919 wandte sich Levisohn wieder seinem kaufmännischen Beruf zu. Nach Tätigkeiten in Köln und Leipzig fand er eine Anstellung im Im- und Exporthandel in Hamburg. Hier heiratete er Ende 1930 Röschen Nathan (1899-1988).
Das Brautpaar Levisohn mit Gästen der jüdischen Hochzeitszeremonie in Hamburg
26.12.1930, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Rechts neben dem Brautpaar sitzen Levisohns Schwester Else und ihr Mann Fritz Lorch. Beide wanderten Mitte der 1930er-Jahre nach Brasilien aus. Später versuchten sie, den Levisohns durch ein Empfehlungsschreiben bei einem Visumsantrag für Brasilien zu helfen.
Willy Levisohn mit Nichte Nomi in Hamburg
Sommer 1938, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Das Bild zeigt Levisohn mit seiner geliebten kleinen Nichte Nomi. Sie war die Tochter seiner Schwägerin Rahel Posin, geb. Nathan. Rahel und ihre Tochter wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1943 in Auschwitz ermordet.
Haft im KZ Sachsenhausen
Entlassungsliste der KZ-Kommandantur, 23.11.1938,
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Am 10. November 1938 wurde Levisohn verhaftet und später nach Sachsenhausen überstellt. Schon nach knapp zwei Wochen kam er wieder frei. Dies verdankte er vermutlich seiner Kriegsteilnahme, vielleicht aber auch der Initiative seiner Frau, wie es in der Familienerinnerung heißt.
"Hin- und Rückfahrschein (nicht gültig für Auswanderer)"
Abschrift des Tickets für die Schiffspassage von Hamburg nach Montevideo am 2.12.1938, für das Wiedergutmachungsverfahren erstellt, Staatsarchiv Hamburg
Neun Tage nach Levisohns KZ-Entlassung verließ das Ehepaar Deutschland. Weil sie nur ein Touristenvisum für Uruguay besaßen, mussten sie unnötigerweise Hin- und Rückfahrkarte kaufen, wodurch sich der Ticketpreis fast verdoppelte.
Willy und Röschen Levisohn in Montevideo
1939, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Die Levisohns hofften, in Montevideo ein Visum für Brasilien zu bekommen, um bei seiner Schwester in Porto Alegre zu leben. Sie schickten daher das Wenige, was sie bei der hastigen Abreise einpacken konnten, direkt dorthin. Da sie aber kein Visum erhielten, verloren sie letztlich alles.
Willy und Röschen Levisohn mit Baby Mario im Kreise neuer Freunde in Montevideo
1941, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Im uruguayischen Exil fühlten sich die Levisohns zunächst einsam, vor allem weil sie kein Spanisch sprachen. Sie fanden aber bald Anschluss in der deutsch-jüdischen Gemeinde von Montevideo. Ende 1940 kam Sohn Mario zur Welt.
Willy und Röschen Levisohn
1946/47, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Mit Unterstützung einer jüdischen Hilfsorganisation aus den USA kamen die Levisohns im Exil allmählich auf die Beine. Willy fand eine Stellung als Handelsvertreter bei General Motors, Röschen arbeitete im Büro der deutsch-jüdischen Gemeinde.
Willy Levisohn zu Pferd in Piriápolis, Uruguay
1949, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Auch wenn Willy Levisohn bereits seit seiner Soldatenzeit reiten konnte, war die Umstellung auf das Leben im südamerikanischen Exil groß.
Besuch aus Brasilien
20.11.1949, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Ende 1949 erhielt die Familie Besuch von Willys Schwester Else mit Sohn Armin, die im brasilianischen Porto Alegre lebten. Hierhin hatten die Levisohns ursprünglich folgen wollen, sie hatten aber keine Visen zur Weiterreise nach Brasilien erhalten.
Willy Levisohn bei der Ansprache zur Bar Mitzwa seines Sohns Mario in Uruguay
1953, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Im Alter von 13 Jahren erreichen Jugendliche im Judentum die religiöse Mündigkeit. Dieser Tag wird mit einem Gottesdienst und einer Feier im Familienkreis begangen.
Willy und Mario Levisohn beim Reitausflug am Rio de la Plata
1953, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Antrag auf Wiedergutmachung an die Hamburger Entschädigungsbehörde
Januar 1955, Staatsarchiv Hamburg
Seit 1953 konnten Opfer von NS-Verfolgung Entschädigung für materielle und immaterielle Einbußen bekommen. 1955 stellte Röschen – gegen den ausdrücklichen Willen ihres Mannes – einen Antrag in seinem Namen. Seine Unterschrift hatte sie sich durch einen Trick erschlichen.
"Rückwanderung" nach Deutschland
Schreiben des Rechtsanwalts Otto Siems, 3.6.1969, Staatsarchiv Hamburg
Seit 1957 ging es Levisohn gesundheitlich immer schlechter. Das Paar hatte im uruguayischen Exil zwar überleben, aber kein Geld zur Seite legen können. Daher blieb 1969 nur die Rückkehr nach Deutschland, dessen Staatsangehörigkeit sie 1957 zurückerhalten hatten.
Rückkehr nach Frankfurt/Main
Bescheinigung der Henry und Emma Budge Stiftung für das Entschädigungsverfahren, Juni 1969, Staatsarchiv Hamburg
Entgegen der flehentlichen Bitten des schwerkranken Levisohns zog das Paar 1969 nach Frankfurt und wohnte im Seniorenheim der Budge-Stiftung, einer wohltätigen Einrichtung, die jüdischen und christlichen Bürgern der Stadt einen würdevollen Lebensabend ermöglichen will.
Grab Willy Levisohns in Frankfurt/Main
Mai 2018, Fotographie: Itamar Wexler, Tel Aviv (Israel)
Am 25. März 1972 starb Willy Levisohn in seiner Geburtsstadt Frankfurt im Alter von 82 Jahren. Er wurde auf dem jüdischen Friedhof an der Rat-Beil-Straße neben seinem Vater Meier bestattet.
Röschen Levisohn um 1980 in Israel
ca. 1980, Mario Barlevi, Tel Aviv (Israel)
Röschen Levisohn lebte nach dem Tod ihres Mannes bei ihrem Sohn Mario in Tel Aviv. Dieser war 1962 von Uruguay nach Israel ausgewandert, um seiner Familie die von den Eltern gemachte Vertreibungs-Erfahrung zu ersparen.
Um seinem konservativ-jüdischen Frankfurter Elternhaus zu entkommen, ging Willy Levisohn (1890-1972) als junger Kaufmann nach Antwerpen. 1914 bis 1919 nahm er auf deutscher Seite am Ersten Weltkrieg teil und geriet in Gefangenschaft. Später sammelte er weitere Berufspraxis, bevor er sich in Hamburg niederließ. Dort heiratete er Röschen Nathan.
Von der "Kristallnacht" am 9. November 1938 bekam Willy Levisohn zunächst nichts mit. Von den Ausschreitungen hörte er – den Erinnerungen seiner Familie zufolge – erst am nächsten Tag, als er, wie üblich, im Büro eintraf. Es folgten Festnahme und Haft im KZ Sachsenhausen.
Wie viele Kriegsteilnehmer wurde Levisohn relativ schnell aus dem KZ entlassen. Neun Tage später reiste das Ehepaar mit einem Touristen-Visum nach Uruguay aus. Hier lebten sie sich trotz anfänglicher Sprachschwierigkeiten bald ein. Levisohn fand Arbeit in seinem Beruf, und 1940 kam mit Sohn Mario das langersehnte Kind zur Welt.
Die deutsche Sprache und Kultur spielten im Exilhaushalt der Levisohns stets eine wichtige Rolle. Mit Deutschland aber hatte Levisohn gebrochen – nicht einmal "Wiedergutmachungs-Zahlungen" wollte er annehmen. Dennoch musste er aufgrund schwerer Erkrankung schließlich mit seiner Frau nach Deutschland zurückkehren. Im Jahr 1972 starb er in seiner Geburtsstadt Frankfurt/Main. Röschen Levisohn zog daraufhin zu ihrem Sohn Mario, der seit 1962 in Israel lebt.
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Um seinem konservativ-jüdischen Frankfurter Elternhaus zu entkommen, ging Willy Levisohn (1890-1972) als junger Kaufmann nach Antwerpen.
1914 bis 1919 nahm er auf deutscher Seite am Ersten Weltkrieg teil und geriet in Gefangenschaft. Später sammelte er weitere Berufspraxis, bevor
er sich in Hamburg niederließ. Dort heiratete er Röschen Nathan.
Von der "Kristallnacht" am 9. November 1938 bekam Willy Levisohn zunächst nichts mit. Von den Ausschreitungen hörte er – den Erinnerungen seiner
Familie zufolge – erst am nächsten Tag, als er, wie üblich, im Büro eintraf. Es folgten Festnahme und Haft im KZ Sachsenhausen.
Wie viele Kriegsteilnehmer wurde Levisohn relativ schnell aus dem KZ entlassen. Neun Tage später reiste das Ehepaar mit einem Touristen-Visum nach Uruguay aus. Hier lebten sie sich trotz anfänglicher Sprachschwierigkeiten bald ein. Levisohn fand Arbeit in seinem Beruf, und 1940 kam mit Sohn Mario das langersehnte Kind zur Welt.
Die deutsche Sprache und Kultur spielten im Exilhaushalt der Levisohns stets eine wichtige Rolle. Mit Deutschland aber hatte Levisohn gebrochen – nicht einmal "Wiedergutmachungs-Zahlungen" wollte er annehmen. Dennoch musste er aufgrund schwerer Erkrankung schließlich mit seiner Frau nach Deutschland zurückkehren. Im Jahr 1972 starb er in seiner Geburtsstadt Frankfurt/Main. Röschen Levisohn zog daraufhin zu ihrem Sohn Mario, der seit 1962 in Israel lebt.